2 – KIR ROYAL
Dreharbeit
D 1982 | 11 Min. | Lutz Mommartz
Mühlenstr. 9, 14:00 – 24:00 Uhr

02mommertz

Lutz Mommartz:
Eine Frage ist offen, die beantwortet der Film nicht. Als Bernie mich fragt warum die Leute zuschauen, da sag ich ja, die meinen da steckt noch was hinter und ich antworte ihm mit sieeres, dahinter steckt sieeres. Das setzt sich zusammen aus sie, er, es, was der Zuschauer nicht wissen kann. Das war der Arbeitstitel für den Film aus dem später „Jeder Mensch ist ein Tisch, nur, ich bin ein Stuhl“ geworden ist. Es bleibt immer ein Ich und ein Du im Film und das Es um das es eigentlich geht und die Frage wie sich das in Zukunft verändert, welche Mauer man überspringen kann.
„Dreharbeit“ ist ja auch später Teil des längeren Projekts geworden.
 
Jan Wagner:
Wer ist Bernie?
 
L:
Bernie war eigentlich Dipl. Psychologe und hat eine Trickfilm Glosse für das deutsche Fernsehen gezeichnet die immer nach der Tagesschau zu sehen war und die politischen Ereignisse der Kohlära kommentiert hat. Mein bester Freund.
 
J:
Wie bist Du vorgegangen?
 
L:
Ich habe die Leute schriftlich eingeladen und ihnen gesagt was ich wollte und dann haben mir eben Leute geantwortet, die es sich gefallen ließen riskanter weise vor die Kamera zu gehen ohne zu wissen was sie in der Hand haben. Mit Bernie war zwar das Projekt im Kopf, wir haben uns aber ohne jede Überlegung vor die Kamera gesetzt.
 
J:
Es gab also nur die Grundidee mit Freunden Gespräche aufzuzeichnen, weil es gibt ja die Frage nach dem neuen Menschen, das taucht in Dreharbeit schon auf.
 
L:
Ja der neue Mensch ist ja eigentlich schon da. Damals war es noch nicht so üblich, dass Leute ungeniert vor die Kamera gehen. Sie hatten immer vorbehalte vor sich selber. Heute weiß jeder wenn er auf der Straße angequatscht wird wie er damit umgehen kann. Das war damals noch nicht geübt. Dieses über sich selbst hinausgehen,
war die Herausforderung der Kamera, sich ohne Hilfsmittel, ohne ein Thema zu äußern war neu.
 
J:
Interessant, dass Du das sagst, weil ich in deinen Filmen immer das Gefühl habe, dass die Kamera eine sehr autoritäre Rolle spielt. Das lag aber dann ein Stück weit in der Zeit. Trotzdem wie hast Du diese Dringlichkeit erzeugt?
 
L:
Das kommt hinzu denn ich bin per se ein Herausforderer. Heute kann aber besser damit umgegangen werden. Eigentlich ist es getan. Wir haben eine Stufe der Reife bekommen in der wir diese Herausforderung nicht mehr spüren.
 
J:
Beschreib doch mal wie das Setting war beim Tisch-Film?
 
L:
Also ich habe die Leute eingeladen zu mir, ich bin vielleicht zweimal woanders hingefahren, aber eigentlich kamen sie zu mir, mit dem Satz: „Wenn Du zur Tür rein kommst läuft die Kamera“. Direkt ohne Vorgespräch. Das ist ein Prinzip, das habe ich eigentlich immer geschätzt, ob ich es durchgehalten habe weiß ich nicht. Die Kamera muss laufen bevor gesprochen wird.
 
J:
Es gibt kein Außen mehr dann. Da ist noch ein dritter Film der für mich auch in den Kreis gehört „Die italienische Jagd“ wo Du mit deinen Studenten auf einer Klassenfahrt in der Toskana bist in einem Gutshaus oder Kloster. Am Anfang des Films sieht man die Klasse auf einer Treppe stehen und es wird ein Lied gesungen, ein bisschen Chorgeist und Persiflage, man spürt aber schon, dass jeder von denen jetzt mal dran ist, dass Du sie dir „vornimmst“. Nun gibt es da ja eine etablierte Hierarchie zwischen Professor und Student.
Hast Du die benutzt?
 
L:
Also mir war das zu langweilig, gar nichts zu machen und da habe ich vorgeschlagen, dass wir einen Portraitfilm machen. Jeder der Studenten machte einen Vorschlag für ein Selbstportrait und ich auch. Dann haben wir uns zwei Tage Zeit gelassen und
die Vorschläge vorgestellt und dann wurde abgestimmt welchen wir nehmen, den des Studenten oder meinen. Ja und dann sind sie meistens auf meinen Vorschlag zurückgekommen.
So war das.
 
J:
Interessant fand ich das Portrait der Studentin.
 
L:
An für sich wollte die auf mich zugehen, bedrohlich zugehen.
 
J:
Ja, man sieht ihr Gesicht bis zu den Schultern. Erst geht sie auf dich zu, treibt dich zurück, dann dreht ihr euch und du verfolgst sie immer noch nah aber man ahnt schon, dass sie nackt ist und das der Vertrag zwischen euch aufgelöst wird in dem Moment wo einer zurückweicht und sie ganz zu sehen ist. Dann steckt sie sich einen Ohrring an, wie um sich wieder anzuziehen und geht einen Weg am Waldrand entlang. Alles folgt dieser Choreografie, bis sie, bereits weit weg im Hintergrund, stehen bleibt und sich umdreht um zurückzukommen, im Glauben dass die Kamera jetzt aus ist und die Szene vorbei. Du bleibst aber drauf, sie wird überrascht und versteckt sich hinter einem Busch. Diese Überschreitung, ist das wesentlich?
 
L:
Die ist wesentlich. Die ganzen Filme werden ja auch abgenommen, die werden ja nicht gegen sie verwandt. Bei dem Film „Als wär´s von Beckett“ beispielsweise hat es mich sehr erstaunt, dass sie ihn abgenommen haben.
 
J:
Wenn man so einen Film gemacht hat und alles erfüllt sich so. Du hast die Menschen gefunden und die richtige Form für ihre Geschichte, alles kommt zusammen. Wie geht man damit um? Sucht man nach ähnlichen Momenten, ähnlichen Möglichkeiten den nächsten Film zu machen.
 
L:
Die Frage stellt sich mir. Aber ich bin einfach anders damit umgegangen. Ich habe mir abgewöhnt mich selber zu nötigen Filme zu machen.


J:
Das heißt Du hast gewartet bis was kam.
 
L:
Ja ich habe meinen Auftrag eigentlich erfüllt – was ich zu sagen hatte. Dann kommt die Zeit, die holt das ein, sodass ich sagen kann die Proteste, die wir ende der sechziger Jahre gemacht haben mit unseren Filmen haben sich erfüllt.
 
J:
Ja siehst du das so?
 
L:
Sehe ich so. Nicht rein aber das weiter zu thematisieren müsste die nächste Generation machen. Das ist bereits weitergegeben.
 
J:
Was Du machst ist ja eine Art Provokation von Wirklichkeit. Das musste erst noch eingeholt werden und filmisch verarbeitet. Da hat auch die Technik eine Rolle gespielt und das passierte auf vielen Ebenen des Filmemachens szenisch wie dokumentarisch. Die Wirklichkeit hatte zu der Zeit ja auch noch was monumentales, sie war fest. Durch die ganzen postmodernen Diskurse hat sich das Verhältnis stark verkompliziert.
Man erlebt sich selbst vielleicht auch gar nicht so authentisch und hat das Gefühl etwas Echtes zu berühren.
Allein die Filmrolle, die durchläuft und belichtet wird stellt schon so eine Bühne auf und provoziert ein Ereignis wie es einer Videokamera nie möglich wäre. Du hast beides erlebt, deine letzter Film ist ein Handyfilm, wie gehst Du heute damit um?
 
L:
Ich habe das Problem für mich gelöst habe es aber auch als Forderung stehen. Für mich ist der Gedanke nicht eingelöst in dieser Gesellschaft. Wir sind ja alle Triebtäter, wir wollen alle was tun. Ich lass es sein wenn es nicht notwendig ist.
Was notwendig wäre, in meinen Augen, die Filmerei zu lassen und das ganze Leben als einen Film aufzufassen. Was wir hier machen ist ein fertiger Film. Er ist nur zu lang um ihn zu wiederholen. Um die Menschen nicht mit den Wiederholungen zu belästigen, lebt man sein Leben doch lieber wie einen Film, wie jetzt und dann bin ich
zufrieden. Dann kommt man ins Gleichgewicht und es zerrt nichts an einem.
 
J:
Ich weiß nicht ob ich dich richtig verstehe, aber ich kenne Momente wo ich das Gefühle habe mir mein Leben erzählen zu müssen um dabei gewesen zu sein.
L:
Bewusstsein
 
J:
Ja. Also als Student hatte ich noch den Drang eine Direktleitung zur Wirklichkeit zu legen. Also bums, sublimer Schock, ein magischer Moment und ich bin da und meine Umgebung auch, alles kongruent, und die Kunst sollte das erledigen. Das hat nicht geklappt. Die Perspektive auf Wirklichkeit war aber eine magische und gleichzeitig musste etwas Reales erst erzeugt werden, es war nicht gegeben. Danach hatte ich den Eindruck ich müsste eher einen Schritt zurück treten und noch einmal mehr Übersetzen, in der Hoffnung dass das die Dinge erfahrbarer macht. Jetzt bist Du aber sehr direkt auf die Dinge zugegangen und sagst, dass was wir gemacht haben ist längst Realität, ist eingeholt von den heutigen Fernsehformaten usw. das ist eigentlich Praxis geworden. Ist das Private, was wir im Fernsehen sehen, damit zu vergleichen? Hast Du das Gefühl da ist der Alltag und der ist es Wert gezeigt zu werden?
 
L:
Da steht ja jetzt immer noch das Wort „Über das Morgen hinaus“, das Motto der Quadriennale dazwischen. Das ist ja eine Mauer über die wir wollen. Und es wäre interessant herauszukriegen welche Mauer steht da, die wir zu überspringen haben. Und da ist die Welt ja nun voller Unfrieden und den Frieden herstellen, schaffen wir als Individuen nicht und da müssen wir kucken, vielleicht auch warten, bis, wenn wir demokratisch denken, alle Gesellschaften in der Lage sind diesen Schritt zu machen in den nächsten 200-300 Jahren, der jetzt nicht machbar ist.
Aber dieses Warten, war eine Epoche in meinem Leben. Ich habe als 17 jähriger gedacht ich werde in diesem Leben nichts machen können was wichtig wäre, hatte auch keinen Ehrgeiz und war bedrückt darüber, dass es nicht geht. Dann habe ich mir angewöhnt den Wartenden zu spielen, ganz bewusst. Wenn ich nicht handeln kann, dann
warte ich mit offenen Augen, als Kulturmensch sagen wir mal so, der als kleinbürgerlicher Kulturkäfer da so rum gekrabbelt ist und sich alles angesehen hat, bin ich darauf gekommen, dass die alten Weisen, die alten Chinesen und die alten Deutschen, wirklich nachgedacht haben und dieses nachdenken ist immer noch nicht
eingelöst und sie sind vollkommen überholt worden durch eine neue Welt der amöbenhaften Zufriedenheit. Auf dem Gebiet ist der Kampf nicht mehr weitergeführt worden. Die Philosophie, die mich gerettet hat, fernöstlich auch, denken zu können, ist frei
verfügbar, kann jeder kriegen. Wir müssen unter Umständen Generationen warten. Ich hatte das ungeheure Glück als Wartender etwas einlösen zu können, in einem ganz bestimmten Moment und zwar bevor die studentische Revolution los ging, hab ich da gesessen und mit meinen Leuten nichts anderes getan als gewartet und aus diesem warten heraus war irgendwann Aktion möglich.
 
J:
In der „Italienischen Jagd“ sagst du zu einem der portraitierten Studenten „ich möchte nicht wissen wie du dich beschreibst, ich möchte wissen was du willst“. Gibt es etwas was du willst, etwas konstantes, das dich begleitet?
 
L:
Ja mich mit Leuten zu treffen, wie du einer bist. Das wir darüber reden können, dass es weiter geht. Ich kann den Zielpunkt nicht fixieren.
Ich muss das tun was mir für mein jetziges Leben eine Balance gibt die lebbar ist. Die geht zu ende wenn meine Knie, die jetzt nicht mehr so laufen wie früher, aufhören zu funktionieren und wenn ich dann gefesselt bin und die Krankheiten kämen möchte ich die Freiheit besitzen eine Balance zu schaffen, z.B. in dem ich langsamer werde. Mein Ziel ist es langsamer zu werden damit ich den Knien gerecht werde, die mich dann nicht mehr zwingen zum Kampf, der Verstand muss langsamer werden damit er zu den Knien passt. Das ist ein Ziel, die Balance.
 
J:
Vielen Dank für das Gespräch.