10 – DAS CUBE
Henry die Hose
D 1970 | 20 Min. | Henry Latz
Mertensgasse 8, 14:00 – 24:00 Uhr

Es war sehr sehr heiß. Ich hatte natürlich sämtliche Sachen, die bei mir waren verschwitzt und verdreckt. Ich wohnt da in einem Haus ein bisschen ausserhalb und hatte mir einen Motorscooter geliehen und fuhr dann jetzt in die Stadt. Ich hatte einen Tag vorher eine Hose in die Reinigung gebracht, ne weisse Hose, und wollte die am Abende dann halt anziehen. Hatte nichts anderes bei mir wie das Portemonnaie und eben diesen Bon der Reinigung, flitz über die Straße
und sehe einen Menschenauflauf, ganz verrückt. Ich denk´ was ist denn hier wieder los. Steht da so ein grünes Polizeifahrzeug vollgepfropft bis oben hin mit jungen Leuten, betont lange Haare, ganz lustig angezogen mit bunten Sachen, Felljacken und nackten Füßen. Es war also ein regelrechte Menschenauflauf, ich drängte mich dazwischen und kuckte und dachte die armen Kerle werden wohl ausgewiesen. Steh da so und auf einmal kommt einer an von hinten, fragt mich nach dem Passport, ich sagte das hätte ich im Appartemento, ich wollte nur meine Hose abholen. Jetzt versuchten sie mich in diesen Wagen hineinzuverfrachten. Hab´mich dann gewehrt, hab´ das alles sehr lustig und albern gefunden. Ich hatte erstens Geld, brauchte also weder zu betteln noch draussen zu schlafen, dann hatte ich Bekannte da, fühlte mich also richtig vollkommen aus der Welt gerissen. Ich denk´ was will der von dir und konnte also so eben dieser Hand entschlüpfen. Auf einmal ein unheimliches Geschrei, drei oder vier Polizeibeamte liefen hinter mir her, packten mich an Händen und Füßen und warfen mich in dieses Auto. Also ein Manschaftswagen mit sechs Plätzen. Waren mittlerweile so vierzehn Mann, die da saßen und lagen oder standen und ich da noch oben drauf. Da kriegte ich auch schon den ersten Stoß in die Rippen, denke na ja warte mal ab. Jetzt fuhren wir in diesem Wagen auf das Hauptquartier der Polizei da, kommen da hin, da sitzten da mindestens auch schon fünfzehn Personen, die vor einer Tür im Gänsemarsch stehen und darauf warten hereingerufen zu werden.
…..
Wir waren ungefähr zehn Minuten da, da kam der nächste Schub und das komische ist, dass selbst auf Schreien und Geschimpfe kein Mensch irgendwie reagierte, sondern die Beamten waren wie taube Werkzeuge, wie Roboter. Es wurde weder irgendwas erklärt oder irgendwas gesagt. Da ich ein vollkommen reines Gewissen hatte fühlte ich mich dermaßen zu unrecht behandelt, dass ich das alles noch als Witz betrachtete und gar nicht ernst nahm. Wie viel Leute waren wir zusammen. Ja. 38 Personen. 38 Personen in einem Raum, der 3 m mal 6 m war, geteilt in zwei kleiner Räume wo ungefähr, ich schätze mal 15 Mädchen drin waren. Und diese Leute hockten jetzt plötzlich alle in diesem Raum, anfangs genauso verwundert und erschreckt wie ich, ohne Decke, kalter Betonfußboden, Pritsche und unterhielten sich.Ansicht war eine sehr gedrückte Stimmung, die man an sich gar nicht so richtig erklären kann sondern … nicht, dass die Leute jetzt verschüchtert gewesen sind, sondern manche begehrten auf, aber das spielte sich alles sehr vorsichtig ab und sehr langsam. Jetzt hatte man natürlich die Möglichkeit auf die Toilette zu gehen, klopfte dann an diese Gitter, kroch daran rum und ging auf die Toilette. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen, weil ich war sehr spät aufgestanden und war also regelrecht hungrig … ich weiss nicht vielleicht kam auch alles zusammen, erst einmal dieses Ungewisse, zweitens der Hunger, drittens das Nichtwissen wieso, keiner konnte einem irgendwelche Auskunft geben, selbst die Polizisten, sie reagierten nicht, sondern sie lachten nur, machten Witze versuchten irgendwie zu verstehen zu geben das wir Weihnachten vielleicht raus kommen, auf jeden Fall fing einer leicht an zu schreien und plötzlich kam in diese Leute, in diese Polizisten, kam eine Bewegung, wie hypnotisiert. Die Tür wurde aufgerissen, zwei Mann erschienen kuckten gar nicht, nahmen sich wie wirklich Henkersknechte, denen befohlen
wird bei der leisesten Unruhe einfach abschrecken. Sie hatten diese Gummiknüppel da, ich kann mich da nicht mehr so genau dran erinnern, was das für Dinger waren, auf jeden Fall schlug man damit so wahllos um sich und am liebsten auf den Kopf. So wie ich es gesehen habe konnte sich da keiner verstecken. Also ich hab wie alle anderen fürchterlich einen drauf bekommen. Das war so erschreckend, dass man nicht nur grundlos von der Straße irgendwie weggeholt wird, sondern dass man da plötzlich in einem Raum ist, sich nicht wehren kann, nicht weises was geschieht, nicht weiss wie lange man da ist, überhaupt keine Möglichkeit der Verständigung hat.

Jetzt lagen wir da, müde, kein Gefühl mehr vollkommen verfroren und machten uns auf dem Boden platz, kalter Betonfußboden, drängten sich aneinander, wärmend, es stank wie die Pest. Schuhe ausgezogen unter den Kopf gelegt und ich konnte nicht einschlafen, natürlich, ich überlegte mir … und fing dann langsam an in einen Halbschlaf zu fallen. Ich meine die ganzen Details, die man dann so spürt und fühlt, diese Ausweglosigkeit. Ich rief dann nochmal,dass ich einen Motorroller hatte und versuchte noch einmal mit allen Mitteln, simulierte mit meinem Kopf und würgte. Es war einfach so verrückt, dass ich es als Albtraum empfand und gar nicht als Wirklichkeit. Hing da den ganzen Morgen rum und die Leute wälzten sich in den Ecken, einer fing an leise vor sich hin zu summen, zu singen. Plötzlich wurde ein Mädchen dermaßen hysterisch, sie schrie zwanzig Minuten lang am laufenden Meter. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Polizisten das alles kannten und dass es sie auch gar nicht aufregte, obwohl sie am Vorabend bei der leisesten Aktion von uns sofort anfingen zu prügeln. Um wehzutun benutzten sie jetzt anscheinend das hysterische Schreien um weiter wehzutun, sie schritten gar nicht ein. Plötzlich beruhigt sich auch dieses Mädchen wieder und ein anderes Mädchen übergab sich, daraufhin wurde dann ein Polizeiarzt gerufen, der sie auf einen Sack stieß und an ihr rumfummelte, kuckte und sagte die stirbt noch nicht. Daraufhin kam ein erstes Verhör, d.h. in diesen Vorraum wurde ein Tisch hingesetzt und auf diesen Tisch legte man Papiere, da wurden alle unsere Namen aufgerufen und man sagte einfach … raus, raus morgen geht ein Schiff da müsst ihr alle drauf. Daraufhin kamen die ersten Widersprüche. Der eine so etwas verrücktes, der wohnte in einer Pension mit einem kleinen Kind, d.h. also der Mann war bei uns, die Frau war neben an und sein Kind war alleine, ein zweijähriges Mädchen und man ließ diese Leute nicht zu ihrem Kind. Man wollte sie einfach ausquartieren mit all ihren Sachen, ich meine es waren Leute dabei die hatten ihre Sachen, aber die meisten hatten ihre Sachen doch in einem Hotel oder sonst irgendwo aber doch nicht bei sich. Jeder hat gedacht, dass nach diesem Einfangen am Vorabend und dieser Nacht, am Morgen man doch irgendwie freigelassen würde, aber wenn ein ganzer Abend vergeht und die der Morgen und jetzt war es schon zwölf Uhr mittags, der halbe Tag, dann schwindet einem die Hoffnung und es passierte effektiv gar nichts. Es gab nichts zu essen überhaupt nichts, nur dieses hämische Grinsen dieser Polizisten. Mittlerweile war es schon wieder Abend geworden und ich wusste einfach nicht mehr was ich machen sollte, ich versuchte, dass ich telefonieren kann, irgendwelche Verbindungen zu meine Bekannten aufnehmen, denn ich war für diese Bekannte von mir über eine Nicht und einen ganzen Tag vollkommen verschwunden, ich existierte nicht mehr. ich konnte also weder eine Verbindung … denn man hätte mir doch geholfen, man hätte doch mit einem Anruf alles klarstellen können, man hätte meinen Pass gezeigt, man hätte all diese Dinge getan um endlich Klarheit zu schaffen, aber es war vollkommen unmöglich irgend etwas zu unternehmen. Jetzt kommt der Hunger dazu. Plötzlich ein Getrappel die Treppen hoch, die
Zellen wurden aufgeschlossen, vier Mann stürmten rein, jeder musste sich draussen an die Wand stellen, man wurde sehr brutale Weise abgetastet von oben bis unten und wieder in die Zelle rein geschmissen. Dann brachte man einen Tisch und der Kommissar kam. Der rief jetzt langsam unsere Namen auf: Dietler, Richard, Gerald, Karl, Ferry, Johannes, Hans, Klaus, Volta, Christian, Wolfgang, Winfried, Jedermann, Jog, Dechanne, Denise, Claudio, Alma, Serge, Ralf, Marie, Martin, Jesper, Jan, Lelita, Alvin, Zorn, Christopher, Chezufret, Samuel, Evelyn, Elisabeth, Angela, Henry das bin ich und Gerard, Margret, Timonny. Plötzlich war diese Verzweiflung wieder da, denn in dem mann das fest gestellt hatte und die Namen aufgerufen, verschwand der Mann genauso plötzlich wie er gekommen war. Wir lagen auf dem Boden rum einer stöhnte, schrie irgendwas von Mutter, was in solche Situation natürlich vorkommt. Es war mittlerweile schon wieder dunkel geworden sieben Uhr Abend … Es war an sich komisch, denn es herrschte eine vollkommene Stille, jeder saß für sich da, keiner unterhielt sich mehr, man wartete ab. Auch die Polizisten waren ruhig, sprachen nicht mehr untereinander. Draussen fing es an unheimlich zu regnen, der Sommer war also regelrecht vorbei, düster, kein Licht und ich musste nochmal zur Toilette, ging dann auch und wie ich von der Toilette zurück kam, bekam ich vollkommen unerwartet einen dermaßen Tritt, dass ich halb die Treppe runter fiel und regelrecht zusammen brach. Höchstwahrscheinlich hat man das als simulieren verstanden und schlug darauf noch einmal kräftig auf meinen Kopf, sodass ich fast die Besinnung verlor. Man trug mich dann in die Zelle und ich lag da eine Stunde lang ohne mich rühren zu können, dabei muss ich sagen, dass ich wohl mitbekommen habe, dass die Leute, die ja doch nun alle fremd waren, denn keiner kannte sich, irgendwie … man wuchs trotzdem in dieser kurzen Zeit irgendwie zusammen, es entstand eine geballte Freundschaft, die durch Worte nicht auszudrücken ist. Man spürte einfach man gehört zusammen, man hat das gleiche Problem. Ich bekam einen Pullover unter den Kopf geschoben und andere zogen Jacken aus und legten sie über mich, damit es mir nicht so kalt ist. Ich empfand sowas als eine derart freundliche Geste von wildfremden Menschen, die mich ja nun auch nicht kannten, denn sie froren ja alle und sie hatten alle Hunger und sind auch alle geschlagen worden, dass ich im Grunde irgendwie zufrieden war und mich nicht ausgestoßen fühlte. Mir ging es dann langsam ein bisschen besser. Ich kroch dann in eine Ecke, es war so neun zehn Uhr abends, zog meine Schuhe aus legte sie unter den Pullover und macht mich auf meine nächste Nacht gefasst. Es ist sehr komisch wenn man einfach aus dem Leben heraus genommen wird in eine Ecke gestellt und weiss nicht, ich glaube jeder Verbrecher, der irgendwas gemacht hat bekommt eine Zeit gesagt. Er weiß auch ungefähr was er zu sühnen hat, zeitmäßig, aber wenn man nichts gemacht hat und auch nicht weiß wie lange man sühnen muss, diese zwingende Ungewissheit, die treibt einen an den Rand des Wahnsinns. Ich lag also da rum und war dermaßen verblüfft, wie plötzlich das Gerücht umging, der Kommissar ist wiedergekommen, wir kommen höchstwahrscheinlich frei. Jetzt verschwand nach dem Alphabet einer nach dem anderen, wurde also jeder verhört und nachdem wir alle unsere Angaben gemacht haben, wurde einer nach dem anderen frei gelassen. Aber, ich weiß nicht, dieses Freilassen … das war so komisch. Man war im Grunde nicht frei.


10latz